Achtsamkeitsübungen von einem Farbenblinden - Zengine
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Achtsamkeitsübungen von einem Farbenblinden

Achtsamkeitsübungen von einem Farbenblinden



Dieser farbenblinde Mann hat mir gerade meinen Tag verbessert. Seine Emotionen nachdem er das erste Mal in seinem Leben Farben sehen kann, sind unvergleichlich. Als ich dieses Video gesehen habe, habe ich sofort an meine eigenen Momente gedacht, als ich auf einmal viel mehr sehen konnte als zuvor.

Nach einer Woche Meditation

Ich kann mich noch genau an den Zeitpunkt erinnern. Den Moment habe ich in meinem Journal festgehalten. Ich lebte damals in den USA und hatte eine Woche lang meditiert. Den direkten Effekt nach Achtsamkeitsübungen wie Meditation oder Yoga, konnte ich zuvor schon direkt nach der Übung spüren. Ich wurde ruhiger und entspannter. Nach einer Woche Meditation aber veränderte sich meine Wahrnehmung außerhalb meiner Meditationspraxis. Das heißt ich hatte Erfahrungen von Achtsamkeit in meinem normalen Alltag. Es gab ein entscheidendes Meeting: ich saß in diesem kahlen Raum in einem Werk und konnte im Gespräch auf einmal jedes einzelne Wort für sich hören. Ich konnte jede einzelne Emotion auf den Gesichtern meiner Kollegen wahrnehmen. Außerdem war es mir plötzlich möglich meine eigenen Emotionen genau benennen wie Ärger, Enttäuschung, Freude. Vor allem spürte ich meine Emotionen regelrecht, wenn sie in mir langsam hochkamen. Ärger fühlt sich bei mir nach hohem Druck im Kopf an. Außerdem zieht sich meine Kehle zusammen und ich kneife die Zähne zusammen. Früher war ich von Emotionen oft überrascht worden und reagierte dann mit meinem Reptiliengehirn.

In diesem Meeting realisierte ich mit einem Mal: ich war bis dahin jede Sekunde meines Lebens abgelenkt. Ich konnte zwar die Umrisse in meinem Alltag sehen, aber nie den vollen Inhalt meines Lebens.

Ich reagierte zwar nicht wie der farbenblinde Mann in dem Link oben (das Ergebnis meines Meetings war nur mittel-erfreulich), dieser Moment erinnert mich aber an den Zeitpunkt als ich wirklich sehen gelernt habe.

Nach dem Floating

Auch diesen Zeitpunkt habe ich genau in meinem Journal niedergeschrieben. Ich bin durch den Tim Ferriss Podcast auf Floating oder Sensory Deprivation Tanks gestoßen. Die Erfahrungen die man im Internet über Floating finden kann sind überwältigend. Also habe ich mich entschieden das auszuoprobieren.

Floating Sessions haben ungefähr den gleichen Stundensatz wie Rechtsanwälte, sprich Floating Sessions sind sehr teuer. Wegen der Empfehlung von Tim Ferriss habe ich trotzdem gleich eine 2.5 Stunden Session gebucht.

Eine kurze Erklärung zu Floating. Floating Tanks sehen aus wie ein großer Sarg. Der Tank ist zu ungefähr 40cm mit körperwarmen Wasser gefüllt. Das Wasser ist sehr salzig, es enthält mehrere hundert Kilogramm von Epromsalze. Dadurch schwimmt oder besser schwebt man komplett an der Oberfläche. Man klettern hinein, schließt den Deckel, dann ist man von der Außenwelt abgeschirmt. Im Tank ist es vollkommen still und stockdunkel. Man hört nur die kleinen Wellen im Wasser und seinen eigenen Atem.

Der Effekt des Floatings kam bei mir nach gefühlt 30 Minuten. Der Tank fühlt sich auf einmal riesengroß an. Generell schwebt man in der Mitte des Tanks, hin und wieder stößt man aber an den Rand. Wenn man sich dann sachte vom Rand wegdrückt, zum Beispiel mit der kleinen Zehe, fühlt es sich an als wäre man in einem großen, weiten Ozean und würde kilometer weit schweben.

Der Floating-Effekt verstärkt sich bei mir, wenn ich im Tank meditiere. Meine Achtsamkeitsübung ist auf die Wasserlinie zu achten, wie mein Körper im Tank liegt. Die Linie um meinen Körper zu verfolgen. Bei jedem Atemzug ändert sich diese Wasserlinie leicht. Beim Einatmen steigt der Oberkörper leicht auf, beim Ausatmen sinkt er leicht ab.

Überwältigend war dann der Moment, als ich nach 2.5 Stunden aus dem Floating Studio zurück auf die Strasse gegangen bin. Der Spaziergang zurück zu meinem Auto war eine der schönsten Erfahrungen in meinem Leben. Ähnlich wie der farbenblinde Mann aus dem Video. Es war früher Nachmittag im Januar, der Tag war etwas grau und sehr kalt, der Himmel war leicht bewölkt. Trotz des grauen Wetters waren die Farben total stark. Ich konnte den Wind in meinem Gesicht fühlen. Ich konnte die wenigen Vögel hören, die trotz Winter hiergeblieben waren. In meinem Gesicht fühlte ich jeden einzelnen der wenigen Sonnenstrahlen, die durch die Wolken kamen. In diesem Moment fühlte ich mich komplett verbunden mit dem Universum. Auf meinem Mund war stundenlang ein breites Grinsen. Jeder Moment war einfach perfekt so wie er war. Ich konnte einfach nur sein und den Moment genießen.

Alles ist Wahrnehmung

Die Welt um uns ist immer gleich oder ändert sich nur langsam. Aber es macht einen riesengroßen Unterschied, wie wir Dinge wahrnehmen. Das kann jeder bestätigen, der vollkommene Achtsamkeit erlebt hat. Wenn ich einen schlechten Tag habe, versuche ich mir vor Augen zu halten, dass ich anders bin und nicht die Welt um mich herum. Da ich nicht jeden Tag 150 Euro für eine Floating Session ausgeben kann, meditiere ich täglich. Meditation und Floating haben auf mich einen ähnlichen Effekt. Wenn man einmal erfahren hat wie sich vollkommene Achtsamkeit anfühlt, ist dieses Gefühl jederzeit wieder abrufbar.